Heute will ich mal wieder über eine echte französische Leidenschaft schreiben. Nein, nicht das Essen! Auch nicht das Fremdgehen. Nein, es geht heute um die liebste Freizeitaktivität der Franzosen: Boulespielen! Und dieses Spiel hat nicht nur das Land erobert, sondern bietet auch eine reiche Geschichte und einige skurrile Anekdoten.
Die Geschichte des Boulespiels
Ursprünglich wurde das Spiel von den Griechen nach Frankreich gebracht und durchlief im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Stadien, überwiegend der Verbote. 1629 beispielsweise wurde es gerichtlich verboten, da es “zu lasterhaften Ausschweifungen und sonstigen Unverschämtheiten” führt. 1824 wurde in Lyon verboten, mit den Metallkugeln auf den Hauptstraßen zu spielen. Ich denke mal, wegen der Schäden und dem Krach – verständlich. Erst 1952 wurde das Spiel im französischen Sportbund aufgenommen und die erste Weltmeisterschaft fand 1959 statt. Heute ist Pétanque in einigen regelmäßig stattfindenden Sportwettkampfveranstaltungen vertreten: Z.b. in den World Games, den Indian Ocean Island Games, den Mittelmeerspielen, den Asian Indoor Games, den Pazifikspielen sowie seit 2001 in den Südostasienspielen.
Die Erfindung des Pétanque
Eine weitere lustige oder eher rührende Anekdote ist die der Entstehung von Pétanque, der modernen Form des Boule. Das war nämlich so: Anfang des 20. Jahrhunderts lebte Jules Le Noir im südfranzösischen La Ciotat. Er war ein guter Boulespieler, konnte aber aufgrund seines Rheumas nicht mehr die drei Anlaufschritte machen. Und außerdem galt es Distanzen von 21 Metern zu überwinden, das schaffte er nicht mehr. Sein Freund Ernest Pitiot erfand also kurzerhand ein Spiel, das auf kürzere Entfernung und ohne Anlauf gespielt wird, nämlich wirft man mit geschlossenen Füssen an einer Markierung stehend. Und “geschlossene Füße” heißt auf französisch pieds tanqués, was im provenzalischen Dialekt, den die beiden Herren sprachen, ped tanco heißt. Und das führte zu dem Wort pétanque.
Die Begriffe des Spiels wurden von französischen Soldaten geprägt, die es von Beginn an liebten, ihre Freizeit damit zu verbringen. So gibt es den “Tireur” (derjenige, der den Zünder an der Kanone betätigt, beim Boule der Schießer ) und “Pointeur” (wörtlich übersetzt: das Geschütz richten, beim Boule der Leger), außerdem das “Cochonnet” (=Schweinchen, damit ist die kleinste Kugel gemeint).
Die Regeln
Das Spiel erscheint erstmal einfach. Menschen stehen rum, werfen erst einen kleinen Ball und dann mehre Metallkugeln hinterher und dann wird wild diskutiert. Aber weit gefehlt, wer jetzt denkt, das könne jeder!
Das allgemeine Ziel ist es, mit den Metallkugeln so nah wie möglich an eine kleine Holzkugel, das Cochonnet, zu gelangen. Doch damit das gelingt, gibt es eine Fülle an Taktiken und Strategien, die das Spiel zu einem spannenden Erlebnis machen. Die Regeln sind leicht zu erlernen, aber schwer zu meistern und die Spieler und mittlerweile auch Spielerinnen werden mit den Jahren immer besser.
Beim Pétanque gibt es immer zwei Mannschaften, die gegeneinander antreten. Aber die können aus Einzelpersonen (= Tête à tête), Duos (= Doublette) oder Trios (= Triplette) bestehen und entsprechend passen sich die Aufgaben der einzelnen Spieler*innen an, wobei jede*r 3 Kugeln hat, beim Triplette jedoch nur 2.
Zuerst wird ausgelost, wer beginnt und dann fängt die erste Taktik bereits an, denn nun wird das Cochonnet geworfen. Zuerst wird dafür ein Halbkreis von ca 50 cm auf den Boden gezogen, meist mit dem Fuß. Dann wird die kleine Kugel 6-10 Meter weit geworfen und sollte 1 Meter von jeglichem Hindernis wie z.b. der Bande entfernt sein. Derselbe oder jemand aus der selben Mannschaft wirft nun die erste Kugel möglichst nah an das Schweinchen. Jetzt ist die gegnerische Mannschaft dran und zwar so lange, bis eine ihrer Kugeln am Nähsten am Schweinchen ist (= 1 Punkt) oder bis keine Kugeln mehr übrig sind. Nun ist die erste Mannschaft wieder dran und versucht, die gegnerischen Kugeln, die am Nähesten am Schweinchen sind, wegzuschießen.
Ist diese Runde (= Aufnahme genannt) beendet, werden Punkte gezählt. Jede Kugel, die näher am Cochonnet liegt als die näheste gegnerische Kugel bekommt einen Punkt. Es kann also bei einem Triplett 6 Punkte pro Aufnahme erreicht werden, bzw. beim Tête-à-Tête 3 Punkte. Es gibt noch haufenweise verfeinerte Regeln, aber das würde hier zu weit führen oder sich an Profis richten. Für unser Anfänger-Spiel im Frankreich-Urlaub ist es bereits ausreichend anstrengend, nah an das Cochonnet zu kommen.
Jede*r Spieler*in hat übrigens eine eigene Aufgabe und von dieser Aufgabe hängt auch die Beschaffenheit der Kugeln ab. Der Tireur z.b. ist dafür zuständig, die gegnerischen Kugel gezielt wegzuschießen, der Leguer bringt die eigenen Kugeln möglichst nah an das Cochonnet. Im Dreierteam gibt es noch den Milieu, der sowohl Schießen als auch Vorlegen kann. Doch die Spieler*innen können die Positionen auch tauschen, da sind die Regeln nicht so streng.
Und wer gewinnt?
Das Spiel ist zu Ende, wenn eine Mannschaft 13 Punkte hat.
Taktik und Strategie
Wie gesagt: die erste taktische Maßnahme ist bereits beim Platzieren der kleinen Holzkugel nötig. Und diese Taktik ändert sich im Spielverlauf dauernd. Ist die Punktdifferenz sehr knapp, wird das Cochonnet an eine Stelle platziert, die der Gegner möglicherweise schwer erreichen kann. Kennt man die Vorlieben und Fähigkeiten der gegnerischen Mannschaft, macht man ihr mit der Platzierung das punkten schwer.
Die Würfe und das Boden lesen
Auch eine Kunst für sich. Der halbhohe Wurf, das Rollen, der hohe Wurf, der Eisenschuss, der Schuss davor, der Flachschuss… Es gibt viel zu beachten. Und die Wahl des Wurfes hängt auch von der Beschaffenheit des Bodens ab. Am besten ist ein harter Sandboden, auf dem die Kugeln rollen, wenn sie sollen und liegen bleiben, wenn sie nicht rollen sollen.
Um das zu erreichen, müssen die Bodenverhältnisse studiert werden.
Die richtige Kugel
Ou là là, die Auswahl der richtigen Kugeln ist eine Wissenschaft für sich! Alles hängt davon ab, wie erfahren man ist und welche Position man spielt. Als grobe Richtlinie gilt, dass man die Länge von der Handwurzel zur Mittelfingerspitze misst und die Kugel entsprechend wählt. Das Gewicht hängt von der Spielposition ab. Als Pointeur wählt man einen schwereren Ball, als Tireur einen leichteren, als Milieu einen dazwischen. Am besten lässt man sich einfach beraten. Ach ja, richtige, “echte” Boulekugeln sind echt teuer. Aber wenn man seine Größe und Gewicht kennt, findet man sie auch öfter gebraucht.
Pétanque an der Côte d’Azur
In jedem – wirklich jedem! – noch so kleinen Dorf gibt es mindestens einen Bouleplatz! Meistens an einer sehr zentralen Stelle wie dem Dorfmittelpunkt oder beim Rathaus oder gegenüber der Boulangerie. Warum? Weil die Franzosen diese Spiel lieben. Es heißt, in Frankreich gäbe es mehr Boulekugeln als Zahnbürsten. Es ist nicht nur ein Spiel, sondern viel mehr ein soziales Ereignis. Alt und Jung trifft sich, philosophiert über das Leben, streitet über die Position der Boulekugeln, trinkt dazu Rotwein oder Pastis – kein Witz! Setz euch einfach mal dazu und lasst die Stimmung wirken. Das ist französische Lebensqualität pur!
Fazit:
Boulespielen gehört zum französischen Lebensgefühl wie Baguette, Rotwein und Käse. Da ihr sowieso an jeder Ecke über einen Bouleplatz stolpert, empfehle ich, sich einfach mal für ein viertel Stündchen dazu zu setzen. Meist gibt es um die Ecke dieser Plätze auch ein paar Leckereien. Wenn der Platz von einem Verein betrieben wird, könnt ihr im Vereinshaus manchmal ein Getränk kaufen. Und seid mutig und sprecht die Spieler*innen an. Sie zeigen euch bestimmt gerne, wie dieses Spiel funktioniert.